Kiluanji Kia Henda

© Muamby Wassaky

Kiluanji Kia Henda
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„Der wirtschaftliche Faktor ist die zentrale treibende Kraft dieser Tragödie. Sie reicht bis heute in die westlichen Gesellschaften hinein, weil das Anhäufen von Reichtum, das die Geburt der modernen Welt ermöglichte, auf den Schultern der versklavten Frauen und Männer durchgeführt wurde.“

INTERVIEW: MARTA LANÇA, 2020

Im Abstimmungsprozess zum Mahnmal zu Ehren versklavter Menschen wurde der Vorschlag Plantage des angolanischen Künstlers Kiluanji Kia Henda* ausgewählt. Vierhundert Zuckerrohre aus Aluminium (eine Anspielung auf vier Jahrhunderte Sklaverei) und eine runde Sitzbank als Treffpunkt inmitten einer Trauerplantage: Das ist das Mahnmal, das Ende 2021 am Campo das Cebolas in Lissabon eingeweiht werden soll. Kiluanji Kia Henda, einer der derzeit international erfolgreichsten afrikanischen Künstler, erzählt vom suggestiven und meditativen Sinn des Mahnmals, hinterfragt das Verhältnis Portugals zu seiner Vergangenheit und erklärt die Beweggründe und Ideen, die hinter der Konzeption seines Vorschlags stehen. Ein Mahnmal, das die Dialektik zwischen dem Albtraum, der Entmenschlichung von Afrikaner*innen und Indigenen, und dem Wohlstand Europas materialisiert.

Welche Orte würden Sie wählen, um an die Kolonialität oder die afrikanische Präsenz in der Stadt Lissabon zu erinnern?

 

Einen Ort irgendwo zwischen den zwei Brücken Ponte Vasco da Gama und Ponte 25 de Abril. Die Symbolik der Konstruktion der Brücken ist wichtig, also die Verbindung, die zwischen den beiden Ufern geschaffen wird. Bei der Ponte 25 de Abril geht es um afrikanische Männer und Frauen, die im Kampf gegen das kolonialistische Joch gestorben sind, was auch für den Fall der Diktatur in Portugal von extremer Bedeutung war. Bei der Ponte Vasco da Gama gibt es Belege dafür, dass mehrere Emigranten afrikanischer Herkunft während der Konstruktion der Brücke in den 90er Jahren ihr Leben verloren. Die schlechten Lebensbedingungen vieler Afrikaner*innen, die nach den schwierigen Unabhängigkeitsprozessen ihrer Länder nach Portugal emigrierten, waren Grund dafür, dass sie auch riskanteste Arbeiten annahmen, die in den seltensten Fällen gerecht vergütet wurden. Auf diese Weise werden vielleicht mehr als nur die Ufer eines Flusses verbunden und die Brücke wird zu einem Mittel, um Gedanken und Geschichten zu verbinden, die sich am Rande unseres kollektiven Gedächtnisses befinden.

Sie haben das Projekt auf der Basis der Geschichte des Zuckerrohrs entworfen, die auf den Beginn der Versklavung und seine wirtschaftlichen Aspekte verweist. Warum?

 

Es ist sehr kompliziert, ein Bild zu finden, das eine so tragische und gewaltsame Zeit unserer Geschichte darstellen kann. Für mich wäre es sehr einschränkend, wenn das Mahnmal eine figurative Dimension hätte, die Darstellung von Körpern, auch wenn wir hier natürlich von Personen sprechen. Wenn man den Ort berücksichtigt, der für das Mahnmal vorgesehen ist, war es wichtig, ein Projekt zu entwerfen, das sich über die gesamte Fläche erstreckt, die von der Stadt Lissabon auf dem Praça das Cebolas (Platz der Zwiebeln) freigegeben wurde.

Mit der Plantage ist ein Unterdrückungsregime verbunden. Wie entstand die Idee, eine „Plantage“ in der Stadt anzulegen?

 

Die Plantage ist der zentrale Grund für die Existenz des Handels mit versklavten Menschen. Es waren Arbeiter*innen nötig, vor allen Dingen um in den Zuckerrohrplantagen zu arbeiten; natürlich gab es auch andere Arbeiten, wie die in den Minen. Von Beginn an war die Sklaverei mit der Zuckerrohrproduktion verbunden. Der Produktionszyklus des Zuckers, der „weißes Gold” genannt wurde, war ein Geschäft, an dem nicht nur die Portugiesen verdient haben – die Holländer waren auch sehr bekannt für ihre Zuckerproduktion. Da die Indigenen Südamerikas – wegen ihres Widerstands und auch aufgrund der Ablehnung der Jesuiten gegen den Einsatz von Indigenen als Arbeitskräfte – sich nicht als „Arbeitskräfte” für diesen Zweck eigneten, fiel die Arbeit auf die Afrikaner*innen zurück. Dies war einer der Gründe für die Intensivierung des transatlantischen Handels nach Amerika. Natürlich gibt es einen gemeinsamen Nenner, die Reise, das Schiff, das Überqueren der Meere und den Prozess der Versklavung. Aber wenn wir die Sklaverei seit dem Buch Casa-Grande & Senzala [1] interpretieren, finden wir in allen Mechanismen die Plantage als zentralen Faktor der Fortführung dieses Leidens.

Es ist interessant, dass Sie den Zucker gewählt haben. Zucker war kein Gut des täglichen Bedarfs, sondern entsprang einer Laune in Europa – auf Kosten der versklavten Arbeiter*innen.

 

„Der wirtschaftliche Faktor ist die zentrale treibende Kraft dieser Tragödie. Sie reicht bis heute in die westlichen Gesellschaften hinein, weil das Anhäufen von Reichtum, das die Geburt der modernen Welt ermöglichte, auf den Schultern der versklavten Frauen und Männer durchgeführt wurde.“

Ich wollte, dass das Mahnmal darüber reflektiert, nicht nur über das Leiden, den Schmerz und die Trauer, sondern auch über die Präsenz der Personen, die zu einem Wohlergehen beitrugen, von dem die westlichen Gesellschaften bis heute zehren. Es ist eine Art und Weise, diese Minderheiten zu legitimieren, die afrikanische Diaspora an den verschiedenen Orten der Welt, an denen sie heute leben, als essentiellen Teil des Reichtums dieser Orte.

Es gibt auch die Interpretation, dass die Plantage Trauer trägt, nicht wahr?

 

Das Mahnmal bringt diese zwei Seiten mit sich, die wirtschaftliche Seite des Wohlstands und auf der anderen Seite eine Plantage in Trauer, die die düstere und tödliche Seite der Plantage zeigt. Es ist wichtig, dass ein Werk nicht nur einen Aspekt zeigt, sondern in der Lage ist, sich verschiedenen Lesarten zu öffnen.

Diese Offenheit und Ambivalenz zeigen sich sofort im ursprünglichen Titel Plantação, Prosperidade e Pesadelo… (Plantage, Wohlstand und Albtraum)

 

Ja, Wohlstand und Albtraum können sich den gleichen Raum teilen. Natürlich geht es um das Leiden, die Erniedrigung, die Gewalt, die den Menschen angetan wurde, diesen ganzen Prozess der Entmenschlichung. Die Plantage ist der Ort, an dem der Prozess der Entmenschlichung stattfindet. Über viele Jahrhunderte und Generationen gab es Menschen, die dort als Gefangene geboren wurden, ohne jegliche Freiheit. Es geht hier nicht nur um den Handel, die Verschleppung dieser Körper von ihrem Herkunftsort nach Europa oder Amerika, sondern auch um den Bezugspunkt, an dem viele Menschen geboren wurden. Er beschwört die ganze Gewalt- und Missbrauchskultur herauf, die jahrhundertelang geschah und in der Plantage verwurzelt war. Es ist wichtig, auf die wirtschaftliche Säule zu verweisen, die die westlichen Gesellschaften auf der Grundlage dieser bestialischen Geschichte konstruierten.

Wie können aus Ihrer Sicht das Mahnmal und der Erinnerungsprozess erlebt werden? Welche Beziehung kann es zu den Besucher*innen schaffen?

 

Dieses Projekt war eine Auftragsarbeit, das heißt, ich wurde eingeladen, diese Arbeit zu entwickeln. Obwohl es eine meiner Arbeiten ist, sehe ich sie nicht als Arbeit von mir als Autor. Es ist eine Arbeit für die Stadt, eine Reflexion über ein Kollektiv, für eine Gruppe von Personen. Deswegen gibt es Dinge, die über mich hinausgehen. Ich habe die Möglichkeit, ein Werk zu entwickeln, das sich in ästhetischer Weise auf bestimmte Gefühle fokussiert und gleichzeitig eine meditative Seite besitzt, das die Erwartungen eines Mahnmals erfüllt. Es soll nicht nur die Idee von Gewalt und Empörung verstärken, wichtig ist die Reflexion über die Geschichte. Es geht nicht um die Idee, den Hass fortzuführen oder anzustacheln, sondern einen Ort zu schaffen, an dem eine Ablösung oder Erlösung von dieser historischen Periode und ihrem Verbrechen gegen die Menschlichkeit möglich ist. Ich hoffe, dass es das ist, was die Menschen an einem Ort wie diesem spüren können. Ein Ort der Betrachtung, der Meditation und der Möglichkeit einer Debatte und anderer kultureller Ausdrucksweisen.

Welche Bedeutung hat es, dass das Mahnmal in Lissabon entsteht?

 

Die Stadt Lissabon ist ein zentraler Ort, wenn es darum geht, über diese Themen zu reflektieren. Die Geschichte blickt auf die Portugiesen als Meister des transatlantischen Sklavenhandels – die ersten und die letzten Akteure in seiner Geschichte. Ohne jede Ironie. Mehr als jedes andere europäische Land ist Portugal ein zentraler Ort in der Geschichte der Sklaverei. Ohne die Besonderheit zu vergessen, dass im 17. Jahrhundert zehn Prozent der Einwohnerschaft Lissabons Schwarz waren. Eine so starke Präsenz einer afrikanischen Gemeinschaft war etwas durchaus Einzigartiges im europäischen Kontext. Daher halte ich es für ausgesprochen wichtig, dass DJASS – der Verein für Menschen afrikanischer Abstammung –, das Mahnmal initiiert hat.

Wie geht Portugal heute mit seinen Erinnerungen an Sklaverei und Kolonialismus um? Gibt es eine absichtliche Amnesie oder beginnt man, sich mit dieser Vergangenheit auseinanderzusetzen?

 

Wenn wir aus der portugiesischen Sicht von den „glorreichen Entdeckungen“ als einer zentralen Zeit der Identitätsbildung sprechen, soll diese Identität unbefleckt gehalten werden. Es braucht Mut, um sich innerhalb dieses Prozesses der Konstruktion von Identität, von Symbolismus und Helden, mit Aspekten zu konfrontieren, die extrem fragwürdig und abstoßend sind. Wenn Portugal heute weiterhin auf die Vergangenheit als eine große, herrliche Zeit blickt, wie können wir uns dann der unmenschlichsten Seite dieses Erbes stellen und daran denken, dass auch das tragische und zerstörerische Gegenteil Teil der Entwicklung des Landes ist?

Diese Schwierigkeit, sich mit den tragischsten Kapiteln der Geschichte zu konfrontieren, spüre ich auch in der Geschichte Angolas. Aus Mangel an Mut und Bereitschaft, an die Zeiten extremer Gewalt zu denken, klammern wir uns an dem fest, auf das wir stolz sind. 

Eine unglücklichere, monströse Vergangenheit zurückzuweisen scheint so, als würde man das „portugiesische Wesen” verstümmeln, einen Teil der Entstehung des Landes selbst auslöschen. Die Geschichte jedoch ist ohne diesen Teil der Tatsachen eine Erzählung voller Auslassungen und Lügen. Und so wird es unmöglich sein, die Vorurteile und den Hass zu begraben, die überhaupt nicht dabei helfen, den Frieden und die Harmonie zu erreichen, die in den Beziehungen zwischen verschiedenen Völkern herrschen sollten.

Eine Form der Dokumentation und Übertragung von Erinnerung findet im akademischen Umfeld statt, aber wie sieht es mit Schulbüchern, den Medien, dem Kino oder in der Kunst aus?

 

So sehr auch meine Arbeit den Impuls einer sozialen und politischen Intervention hat, hege ich große Zweifel daran, dass die Kunst die Welt retten kann; ich bin mir bewusst, dass es nötig ist, Maßnahmen und Entscheidungen zu treffen, die sehr viel effektiver sein können. Schulbücher, das stimmt, sind hier von extremer Bedeutung. So wie die immer noch sehr schwierige Inklusion von Minderheiten in Institutionen und in der Arbeitswelt. Aber natürlich glaube ich an die Kunst als ein Mittel des Dialogs, das die Macht hat, Debatten anzustoßen, und das Ziel, uns vor einer kollektiven Amnesie zu retten. Es gibt viele konkrete Handlungen, insbesondere gerechtere Handelsgesetze zwischen Europa und Afrika, die es sich zu überarbeiten lohnt.

Wie eine Art historische Wiedergutmachung?

 

Ja, wenn wir von Entschädigungen sprechen, denke ich, dass es sich nicht immer darum handelt, astronomische Summen zu bezahlen. Es wäre zum Beispiel bereits ein großer Schritt, eine Beziehung und Gesetze für einen gerechteren Handel zwischen den beiden Kontinenten zu schaffen, um so einen Anfangspunkt für diese Reparationen zu setzen.

Welche Rolle können künstlerische Interventionen im öffentlichen Raum im Rahmen dieser Aufarbeitung übernehmen?

 

Die Kunst im öffentlichen Raum, dem Raum, in dem wir leben, die Statuen, die wir feiern und die die Stadt uns bietet, beeinflusst letztlich über Generationen die Bewohner*innen der Stadt. Wir müssen überlegen, wer gefeiert werden soll und was wir als Erbe hinterlassen wollen, als einen Wert, an den wir für die Zukunft glauben. Der öffentliche Raum wird so zu einem Ort des Diskurses, der für sich spricht. Es ist ein Ort, zu dem alle Zugang haben, was ebenso gut wie gefährlich ist. Wir müssen überdenken, was wir in diesem Raum wollen, ohne zu vergessen, dass wir uns in einer multikulturellen Stadt befinden, die auf sozialer Ebene inklusiv sein soll. Das Mahnmal ist auch sehr mit dieser Fähigkeit zur Repräsentation verbunden.

Wie sehen Sie die Bedeutung der Existenz eines solchen Mahnmals?

 

Es ist wichtig, dass wir eine Intervention haben, die über die Geschichte der Sklaverei reflektiert, die direkt oder indirekt mit einer großen Minderheit verbunden ist, die in Lissabon lebt und die sicher fühlen wird, dass ein Teil ihrer Geschichte an diesem Ort repräsentiert wird. Eine Geschichte, die nicht nur in Büchern oder in einfachen Handlungen und Feiern zu einem bestimmten Datum bewahrt werden kann. Diese Repräsentation im öffentlichen Raum ist von extremer Relevanz. Der Ort, an dem das Mahnmal realisiert werden wird, ein gehobenes Viertel der Stadt, ist hoffentlich der Beginn eines Veränderungswillens und einer mentalen Öffnung für eine inklusivere Stadtpolitik.

Übersetzung: Bettina Wind

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Fußnoten

[1] Zu Deutsch lautet der Titel Herrenhaus und Sklavenhütte: Ein Bild der brasilianischen Gesellschaft. Autor des Buches ist der brasilianische Soziologe Gilberto Freyre [Anm. d. Red.].