Die Viermastbark Peking lud vor allem Salpeter. Für diesen Zweck ließ sie die Reederei Laeisz 1911 bauen. Das Salpeterschiff verband den Hamburger Hafen mit den chilenischen Häfen der Städte Antofagasta, Iquique, Mejillones, Talcahuano, Tocopilla und Valparaíso. Der Stoff Salpeter erzählt in Europa eine Geschichte von Industrialisierung der Landwirtschaft und Kriegsführung. In Chile ist Salpeter mit ausbeuterischer Lohnarbeit an einem der heißesten Orte der Erde verbunden.
Im September 2020 legt die Peking im Hansahafen in Hamburg an. Der inzwischen vollständig restaurierte Segelfrachter lief 1911 bei Blohm und Voss vom Stapel. Obwohl die Hochzeit der Segelschiffe zu Beginn des 20. Jahrhunderts schon vorbei war, ließ die Reederei F. Laeisz noch Segelschiffe bauen, die als Flying P-Liner bekannt wurden. Das Flying bezog sich auf die Schnelligkeit der Schiffe und das P bezeichnete ihre Anfangsbuchstaben, denn alle Schiffe bei Laeisz fingen mit dem Buchstaben P an, da die Frau von Ferdinand Laeisz eine Frisur hatte, die einem Pudel ähnelte, und deshalb auch so genannt wurde. Die Flying P-Liner, zu der die Peking gehört, konnten auf bestimmten Routen kostengünstiger transportieren als ihre Konkurrent*innen, die Dampfschiffe. Diese benötigten unverhältnismäßig viel Kohle, um Kap Hoorn zu umfahren. Die Kohle selbst und ihre Lagerung machten die Dampfschiffe auf dieser Strecke teuer. Die Segelschiffe transportierten vor allem Massengut, für das längere Fahrtzeiten keine Rolle spielten.
Heute ist die Peking das prominenteste Sammlungsobjekt des Deutschen Hafenmuseums. Ein Museum, das im Laufe des nächsten Jahrzehnts aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestags mit Mitteln aus dem Etat der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien an zwei Standorten unter dem Dach der Stiftung Historische Museen Hamburg (SHMH) entsteht, in einem neuen Stadtteil am Rande des Hamburger Hafens. Ein Museum, das Geschichte(n) über die globale Vernetzung der deutschen See- und Binnenhäfen erzählen will, die unter anderem die imperialen und kolonialen Strukturen des globalen Seehandels in Vergangenheit und Gegenwart zeigt. Dabei stellt sich die Frage, wie die museale Kontextualisierung der Peking - die inzwischen in das Eigentum der SHMH übergegangen ist und ihren endgültigen Liegeplatz in unmittelbarer Nähe des künftigen Hauptgebäudes des Deutschen Hafenmuseums finden soll - in Zukunft aussehen könnte.
Die Peking – eines der letzten großen Frachtsegelschiffe
Kurz bevor die Peking unter dem Namen Arethusa 1976 von England nach New York an das South Street Seaport Museum ging, versuchten einige engagierte Bürger sie zurück nach Hamburg zu holen. Ein Artikel in der Welt am Sonntag vom 24. September 1974 gibt Einblick in ihre Motivationen und Sehnsüchte:
„Die ‚Peking-Arethusa‘ ist der einzige noch verfügbare Flying P-Liner und einstige Hamburger Frachtensegler überhaupt. Diese letzten großen Handels-Segelschiffe, die auf der Welt gebaut worden sind, beschlossen die mehrtausendjährige Geschichte der Seefahrt unter Segeln. Welthistorisch gesehen waren sie Höhepunkt und Finale einer Entwicklung, deren klassische Etappen in anderen Ländern längst durch teure Konservierungen historischer Schiffe oder entsprechende Rekonstruktionen dokumentiert werden.“ [1]
Die Peking und die Geschichte des globalen Seehandels
Als 2015 der Haushaltsausschuss des Bundes Geld für ein Deutsches Hafenmuseum bewilligte, beinhaltete das neben dem Bau eines neuen Museums die Überführung der Peking nach Deutschland und ihre Restaurierung. Häfen sind die Infrastruktur für Schiffe und ihre Ladung – ohne Häfen würde die Logistik des Handels nur beschwerlich oder gar nicht funktionieren. Ein Schiff ist also nicht ohne Häfen zu denken und kann somit auch nicht ohne den Ort Hafen begriffen werden. Umso mehr, wenn es um weltweite Handelsbeziehungen geht.
Die Peking ist ein Objekt, das den globalen Seehandel möglich machte. Die Reederei Laeisz transportierte mit der Peking einen damals geopolitisch bedeutenden Stoff nach Europa: Salpeter, den Hauptbestandteil von Schwarzpulver, der im späten 19. Jahrhundert in einem sich militarisierenden Deutschland eine wichtige Rolle spielte. Daneben lässt Salpeter aber auch Pflanzen wachsen. In einem Europa mit einer schnell wachsenden Bevölkerung gewinnt es im 19. Jahrhundert somit auch als Düngemittel enorm an Bedeutung. Dennoch ist Salpeter ein Stoff, mit dem die wenigsten Menschen heute etwas verbinden. Felder werden gegenwärtig mit künstlichem Dünger gedüngt und auch Kriege mit anderen Waffen geführt, die kein Schwarzpulver mehr benötigen.
Die prominenteste Spur, die der Salpeter in Hamburg hinterlassen hat, ist das Chilehaus, finanziert von Henry Brarens Sloman, der sein Vermögen mit Salpeterminen in Chile verdiente. Das Chilehaus gehört als Teil des Hamburger Kontorhausviertels seit 2015 zum UNESCO Weltkulturerbe, aufgrund seiner herausragenden Architektur. [2] Salpeter hat dabei bislang noch keine Erwähnung gefunden. Die Peking birgt angesichts dieser Situation das Potenzial, andere, weitere Erinnerungen an die Salpeterzeit in Hamburg wachzurufen – mit neuen Narrativen an Bord, die eben nicht nur in Hamburg zu finden sind, sondern auch in Chile.
Geschichten, die in Hamburg und in Deutschland noch erzählt werden müssen
Der globale Handel mit sogenanntem Chilesalpeter war auf Menschen angewiesen, die das Natriumnitrat abbauten. Die Atacama bietet die größten Salpetervorkommen des Planeten, gleichzeitig ist sie die wasserärmste Region der Erde mit extremen Temperaturschwankungen. Die Tagestemperatur kann auf 40 °C Grad klettern und die Nachttemperaturen auf 2 °C Grad oder weniger fallen. Diese lebensfeindliche Umgebung wurde zum Arbeitsplatz tausender Menschen.
Das Gestein, das Salpeter enthält, nennt sich Caliche. Um an das Caliche zu kommen, das 40 bis 80 Zentimeter unter der Erdoberfläche liegt, sprengten oder brachen die Patizorros oder Particulares, wie die Tagelöhner genannt wurden, mit Bohrmeißeln die oberste Gesteinsschicht auf. Sie verbachten zwölf oder mehr Stunden auf den Feldern, um Caliche abzubauen und es dann mit Hilfe von Maultieren und Karren zu den Oficinas zu bringen. Ihre Bezahlung richtete sich nach dem Volumen ihrer Lieferung. In den Oficinas sorgten weitere Arbeiter dafür, dass das Gestein in Brechmaschinen zerkleinert wurde. Dieser Prozess verursachte Lärm und staubige Luft. Das zermahlene Gestein wurde in Schmelzwannen, in denen Temperaturen von 112 °C Grad herrschten, mit Lauge gekippt. Mit nacktem Oberkörper, aber mehreren Schichten von Strümpfen und Hosen aus Leder zum Schutz vor der Hitze, schaufelten die Arbeiter*innen die Salzschmelze und den Abraum aus den Wannen.
Während die Besitzer und das Management der Salpeterwerke größtenteils britisch, deutsch und italienisch waren oder zu einer weißen chilenischen Elite gehörten – Nachkommen kolonialer Aristokraten und Kaufmannsfamilien des 19. Jahrhunderts – kamen die Arbeiter*innen aus Chile, Bolivien und Peru. [3] Viele Menschen gehörten indigenen Bevölkerungsgruppen an. Im Jahr 1890 benötigten die Provinzen Tarapacá und Antofagasta 13.060 Arbeiter*innen in weniger als 50 Oficinas [4], um eine Million Tonnen Chilesalpeter herzustellen und zu exportieren. 1925 exportierten 96 Oficinas (von ehemals insgesamt 149) zwei Millionen Tonnen Salpeter und beschäftigten 60.785 Arbeiter*innen. Die Salpeterminenbetreiber hielten untereinander Preisabsprachen (combinación), um die Preise von Salpeter hoch zu halten. Bei einem Überangebot und gleichzeitig geringer Nachfrage stellten sie manchmal die Produktion komplett ein. Von heute auf morgen waren die Arbeiter*innen arbeitslos. Sie strandeten dann in den Hafenstädten wie Antofagasta, Iquique und Taltal oder der chilenische Staat deportierte sie per Schiff zurück in den Süden Chiles, aus dem viele der Arbeiter*innen stammten. [5] Die Menschen, die in der Pampa arbeiteten, nannten sich Pampinos. Auch zu Hochzeiten des Salpeterhandels waren die Pampinos mobil, manchmal blieben sie nur wenige Tage in einer Oficina und zogen für besseren Lohn in eine andere Oficina weiter. Die Oficina-Betreiber versuchten diese Mobilität zu unterbinden, indem sie beispielsweise Kautionen für die Werkzeuge erhoben, die die Pampinos für ihre Arbeit im Salpeterwerk benötigten. [6]
Trotz aller Widrigkeiten entwickelten die Pampinos ein Kommunikationsnetzwerk von Freund*innen, Verwandten und compadres überall in der Pampa, um die Arbeitsbedingungen und Löhne in dem gesamten Gebiet überblicken zu können. Auf diese Weise konnten die Oficina-Betreiber nicht unter ein bestimmtes Minimum bei der Bezahlung gehen. So organisierten die Pampinos auch den Streik von 1907, den der chilenische Staat schließlich niederschlug und mehrere hundert, vermutlich sogar tausende Kinder, Frauen und Männer in Iquique tötete. Neben dem politischen Widerstand gegen ihre Arbeitsbedingungen entwickelten die Pampinos eine eigene Kultur mit einem reichen Sozialleben.
Außerhalb der Oficinas, meistens entlang der Bahnlinien, entstanden kleine Städte und die Pampinos gründeten filarmónicas, in denen es Theater, Tanz, Musik und Poesie gab, entweder von den Pampinos selbst vorgetragen oder durch Wandervorstellungen. Die Oficinas Humberstone und Santa Laura sind heute Weltkulturerbestätten, um an die Kultur und den Kampf für soziale Gerechtigkeit der Pampinos zu erinnern. [7]
Foto: 1909, Abraum-Kolonne in der Oficina Alemania (Privatarchiv Familie Fölsch), © Stiftung Historische Museen Hamburg.
Foto: 1909, Arbeiter der Oficina Alemania auf einem Ausflug (Privatarchiv Familie Fölsch), © Stiftung Historische Museen Hamburg.
Die Geschichten, Erfahrungen und generationsübergreifenden Traumata finden wir bisher nicht in Hamburg, dabei sind sie so wichtig, um die Auswirkungen und Rahmenbedingungen des globalen Handels auch aus der Perspektive des Globalen Südens zu erzählen. Das Deutsche Hafenmuseum hat den Kontakt zum Museo de Antofagasta gesucht, um mit Nachfahren der Pampinos Kontakt aufzunehmen, einerseits um die eigenen blinden Flecken in dieser Geschichte zu füllen und andererseits um ihrer Geschichte ein Forum im neuen Museum zu geben. Hier liegt noch viel Beziehungs- und Recherchearbeit vor den Museumsmacher*innen, damit dieser Aspekt künftig als Teil der insgesamt angestrebten Vielfalt an globalen und regionalen Hafenthemen Eingang in das Deutsche Hafenmuseum finden kann.
Die Peking ist dabei das Objekt, das den Museumsmacher*innen als Ausgangspunkt dient, um die verwobene Geschichte Chiles und Hamburgs zu erzählen. Eine Geschichte, die Platz für viele Erzählungen bietet, vor allem aber für die Perspektiven, die bisher kaum repräsentiert sind, wie die von chilenischen Hafenarbeiter*innen, Pampinos und Indigenen.