Von 1922 – 1931 befand sich die erste diplomatische Vertretung eines unabhängigen afrikanischen Staates in Europa in der Stadt Hamburg: Das liberianische Generalkonsulat unter der Leitung des charismatischen Generalkonsuls Momolu Massaquoi. Das Generalkonsulat wurde damit Pionier einer Begegnung auf Augenhöhe von europäischen und afrikanischen Verhandlungspartner*innen.
Schon vor dem Ersten Weltkrieg hatte es zwischen Liberia und Hamburg diplomatischen Austausch und sogar einen offiziell ernannten liberianischen Generalkonsul gegeben - dies waren bis dato allerdings stets Vertreter europäischer Handelshäuser gewesen. [1] Da auch für die liberianische Seite der Handel mit Deutschland neben dem mit Großbritannien zentral war, setzte sich der Fokus auf wirtschaftliche Interessen in den Beziehungen der Länder in der Weimarer Republik fort. [2] Liberia suchte Absatzmärkte für Kautschuk, Palmöl und Kakao, während Deutschland nach dem Verlust der eigenen Kolonien im Ersten Weltkrieg erneuten Zugriff auf diese Rohstoffe anstrebte.
Die fundamentale Neuerung bestand nun darin, dass infolge einer Gesetzesänderung in Liberia erstmals ein Schwarzer Vertreter lokaler Eliten als Generalkonsulat nach Hamburg entsandt wurde. [3] Es handelte sich um den 1869 geborenen Politiker und Monarch der Vai, Momolu Massaquoi. Am 12. Juni 1922 schiffte Massaquoi an Bord der S.S. Wigbert, einem Dampfer der Woermann-Linie, im Hamburger Hafen ein. Neben seiner Frau Rachel Johnson begleiteten ihn seine Söhne Nathaniel, Ali und George, Tochter Fatima, Baby Arthur und einige Vertreter der Regierung. [4] Fünf erwachsene Söhne und weitere Verwandte blieben vorerst in Afrika, während der älteste Sohn Al-Haj bereits in Dublin studierte. Nachdem die Familie sich zunächst in einer Wohnung in der Schlüterstraße niedergelassen hatte, fand Massaquoi eine 14-Zimmer-Villa in der Johnsallee 22. Hier im vornehmen Harvestehude befanden sich bereits andere Konsulate wie das französische oder spanische, es lag nah an der Innenstadt, gleich um die Ecke der Alster und ganz in der Nähe der Universität.
Die ehemalige Konsulatsvilla in der Johnsallee. © Goethe-Institut Portugal, Foto: Nicole Benewaah Gehle 2021.
Die Massaquois in Hamburg
Die Massaquois fanden sich schnell im Hamburger Alltag ein. Sie hatten verschiedene Hausangestellte, einen Koch, ein Hausmädchen und ein Kindermädchen, die mit ihnen in der Johnsallee lebten. Tochter Fatima berichtet in ihrer Autobiografie, dass sie die junge Togolesin Regina Bruce kennenlernte, die das Kinderheim „Sonnenschein“ im Stadtteil Groß-Borstel leitete, und begann, dort ihre Nachmittage zu verbringen. [6] Die Kinder gingen zur Schule, machten Ausbildungen oder studierten and der Universität. Fatima etwa besuchte unter anderem die St. Ansgar Höhere Mädchenschule. An Sonntagen besuchte die gesamte Familie Massaquoi den Gottesdienst in der Englischen Kirche der Stadt, Church of St Thomas Becket am Zeughausmarkt in der Neustadt. [7] Die Massaquois nahmen wie die anderen diplomatischen Vertreter*innen in der Stadt an Empfängen und Feiern teil oder luden selbst ein, etwa zum Tag der liberianischen Unabhängigkeit am 26. Juli, an dem jährlich ein Fest veranstaltet wurde, manchmal größer in einem der vornehmen Hotels der Stadt, manchmal kleiner in der Konsulatsvilla selbst.
Regelmäßig wurde Momolu Massaquoi nach Auskunft über Liberia und andere afrikanische Staaten gebeten. Sein Konsulat bot nicht nur in Deutschland ansässigen oder temporär dort verweilenden Liberianer*innen Unterstützung, sondern auch Afrikaner*innen aus anderen Ländern. Er übernahm einen Lehrauftrag an der Hamburger Universität, dem vormaligen Kolonialinstitut, und unterrichtete die Sprache Vai in der Afrikanistik, wie es ihm später auch seine Tochter Fatima nachtat. Damit erhoffte er sich auch, Fehlinformationen und Stereotype anzugehen, die das deutsche Bild von Afrika beherrschten. Bereits 1911 veröffentlichte er einen Artikel über die Sprache Vai, in dem er schreibt „All tribes and all languages should be allowed and encouraged to live“ [8]. Sein Engagement, über Liberia aufzuklären und rassistische und koloniale Bilder zu brechen, mündete 1926 in einer eigenen Monographie „The Republic of Liberia“. [9]
Als Konsul engagierte sich Massaquoi vorrangig im Bereich der ökonomischen Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Liberia: 1925 lief die Hälfte des liberianischen Überseehandels über Deutschland. Massaquoi arbeitete mit mehr als zehn Firmen in Hamburg zusammen und stellte liberianische Produkte wie Kaffee oder Elfenbein auf Messen landesweit vor. Auf seine Initiative hin wurden in Liberia Gesetzesänderungen vorgenommen, welche die Handelsbedingungen für deutsche Firmen erleichterten. Auch mit der Firma Woermann fand eine Zusammenarbeit statt. [10]
Momolu Massaquoi in einer Veröffentlichung von 1905. Quelle: "Africa's Appeal to Christendom" The Century Illustrated Monthly Magazine (April 1905): 928. © Gemeinfrei.
Internationale Vernetzung
Kinder und Enkel Massaquois erinnerten sich später an die offene Atmosphäre und die vielen Gäste des Hauses, die häufig auf der Durchreise Halt im Generalkonsulat machten. Massaquoi war mit Persönlichkeiten aus aller Welt bekannt und seine Villa etablierte sich als Treffpunkt Schwarzer Intellektueller, Aktivist*innen und Künstler*innen. Dazu gehörte W. E. B. Du Bois, ein afroamerikanischer Soziologe, der 1892-1894 in Berlin und Heidelberg studiert hatte und 1895 als erster Schwarzer an der Harvard University zum Thema des transatlantischen Versklavungshandels promovierte. Fatima erinnerte sich an „W. E. B. Du Bois, sitting on the sofa, relaxed, cigar in hand, sharing his thoughts on Pan-Africanism and the future of the race, with visitors” [11].
Auch die Sekretäre des späteren Hamburger Komitees, George Padmore und James W. Ford, waren mit der Familie Massaquoi befreundet und schon vor ihrer Tätigkeit in Hamburg im Generalkonsulat in der Hansestadt zu Gast. [12] Schriftsteller wie Langston Hughes oder Musiker wie Louis Armstrong weilten in der Johnsallee. Mit dem Sänger Roland Hayes, den Massaquoi 1921 in London bei einer Galavorstellung kennengelernt hatte, verband Momolu Massaquoi eine langjährige Freundschaft, und so war auch dieser ein regelmäßiger Besucher. Enkel Hans-Jürgen Massaquoi erinnert sich in seiner erfolgreichen Autobiografie „Destined to witness” (1999): „African nationalists who, like Jomo Kenyatta of Kenya, were fighting colonialism from exile in Europe found the congenial atmosphere at Massaquoi’s villa near the Alster […] an ideal setting for their secret strategy meetings.” [13]
Rückkehr nach Liberia
Momolu Massaquoi kehrte 1929 nach Liberia zurück, da ihm von politischen Mitstreitern nahegelegt wurde, sich auf das Präsidentenamt zu bewerben. Er wurde Postminister, während sein Cousin James S. Wiles die Nachfolge als Generalkonsul in Hamburg antrat. Dieser konnte jedoch nicht an die Glanzzeit des Konsulats unter Massaquoi anknüpfen. Tochter Fatima blieb zunächst in Hamburg, wanderte aber 1937 in die USA aus, studierte an der Fisk University und schrieb ihre Autobiographie. 1946 zog sie auf Einladung des liberianischen Präsidenten William Tubman nach Monrovia und wurde Professorin am Liberia College (später University of Liberia). Ihr Neffe Hans-Jürgen Massaquoi überlebte den Nationalsozialismus in Hamburg, migrierte aber ebenfalls 1948 erst nach Liberia und 1950 weiter in die USA. Er studierte Journalismus in Illinois und wurde später Herausgeber des afro-amerikanischen Magazins Ebony. Seine Geschichte erlangte auch in Deutschland Bekanntheit, nicht zuletzt durch die Verfilmung seiner Autobiographie mit Veronica Ferres, die 2006 vom ZDF ausgestrahlt wurde.