Zuckerraffinerien in der Spitaler Straße

© Domínio público / gemeinfrei

Sklavenmarkt am Pelourinho Velho (Alter Pranger)

© Museu de Lisboa / Ana Paula Antunes, 2019

Zuckerraffinerien in der Spitaler Straße

Sklavenmarkt am Pelourinho Velho (Alter Pranger)

Lissabon und Hamburg im transatlantischen Sklavenhandel

Klaus Weber
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Lissabon war Hauptstadt und bedeutendster Hafen der größten Sklavenhandelsnation – und der ersten, die diesen Handel überhaupt transatlantisch ausdehnte. Mehr als 5,8 der rund 12,5 Millionen aus Afrika nach den Amerikas verschleppten Menschen wurden auf portugiesischen Schiffen dorthin gebracht [1].  Die Hansestadt Hamburg und ihr tiefes Hinterland waren dagegen indirekt am Sklavenhandel beteiligt. Dennoch wäre ohne diese Beteiligungen der Sklavenhandel in seinem ganzen Umfang nicht möglich gewesen. Ab Mitte des 17. Jahrhunderts wurde Hamburg wichtigster deutscher Knotenpunkt für diese Beziehungen nach Portugal und in den weiteren transatlantischen Raum.

Schon in den Jahrzehnten vor der um 1500 einsetzenden Kolonisierung Brasiliens kauften portugiesische Seefahrer entlang der westafrikanischen Küste versklavte Männer, Frauen und Kinder. Sie wurden auf Madeira, den Kapverden und auf São Tomé zur Arbeit auf Zuckerplantagen gezwungen oder ins portugiesische Hinterland verschleppt, wo Arbeitskräfte seit den Pestwellen des Mittelalters noch immer knapp waren. Andere wurden in Städten als Haussklav*innen, Handwerker*innen, Hafenarbeiter usw. eingesetzt. Im 16. Jahrhundert dürfte ein Zehntel der Bevölkerung Lissabons afrikanischer Herkunft gewesen sein. Die Stadt war zudem sichtbarer in den transatlantischen Sklavenhandel eingebunden als später hinzukommende westeuropäische Häfen wie Nantes, Liverpool oder Middelburg. 

Anders als dort gab es in Lissabon selbst einen großen, 1486 von der Krone eingerichteten Sklavenhandelsplatz, die Casa dos Escravos de Lisboa, von dem aus das Land und über einige Jahrzehnte hinweg auch Brasilien beliefert wurden [2]. Portugiesische Schiffe belieferten nicht nur Brasilien, sondern auch die Kolonien Spaniens, das bis zum 19. Jahrhundert kaum am Sklavenhandel beteiligt war, und zeitweise niederländische, britische und französische Kolonien. Portugal trat erst 1836 dem auf 1808 zurückgehenden internationalen Abkommen zur Unterbindung dieses Menschenhandels bei. Der illegale Handel wurde im südlichen Atlantik freilich weiter betrieben – auch deshalb, weil Brasilien das letzte Land der westlichen Hemisphäre war, welches die Sklaverei selbst abschaffte. Das geschah erst 1888 [3].

Modell von Lissabon vor dem Erdbeben von 1755 (1955-1959). Largo do Pelourinho Velho / Platz des Alten Prangers. MC.MAQ.0005. © Museu de Lisboa / José Avelar, 2017. 

Modell von Lissabon vor dem Erdbeben von 1755 (1955-1959). Im Hintergrund der Largo do Pelourinho Velho (Platz des Alten Prangers). Im Vordergrund die Alfândega Nova, mit den 7 Häusern, darunter das Haus der Sklaven. © Museu de Lisboa / Ana Paula Antunes, 2019. 

Die afrikanischen Anbieter von versklavten Männern, Frauen und Kindern verlangten von den europäischen Käufern hochwertige Tauschwaren, vor allem Textilien und Metallerzeugnisse. Keine Sklavenhandelsnation konnte all die an den afrikanischen Küsten gefragten Waren selbst herstellen. Das galt umso mehr für das kleine und dünn besiedelte Portugal, das zudem nicht über Rohstoffe für einen eigenen Metallsektor verfügte und wo die Löhne zu hoch waren, um Textilien zu konkurrenzfähigen Preisen herzustellen. Der Sklavenhandel intensivierte also auch den Handel mit den Zulieferern von Tauschwaren: englischen, deutschen, französischen oder indischen Textilien, wallonischen und rheinischen Stahlwaren, Kupfer- und Messingwaren aus dem Harz, aus Cornwall oder Ungarn, böhmischem Glas, Gewehren aus Birmingham oder dem thüringischen Suhl, usw.

Im Gegenzug musste Portugal möglichst viel Zucker exportieren, um diese Waren zu bezahlen. So führte der Sklavenhandel zu einer Verdichtung der wirtschaftlichen Verflechtungen in den deutschsprachigen Raum hinein. 

Als die Spanier in den 1520er Jahren mit dem Aufbau großer Zuckerplantagen auf Hispaniola bzw. Ayití (später Haiti) begannen, wurde das Augsburger Handelshaus Welser von der spanischen Krone damit beauftragt, 4.000 versklavte Menschen aus Afrika über den Atlantik zu liefern. Die Welser verdankten den Zuschlag ihrer Finanzkraft, die für einen so großen Auftrag erforderlich war. Für die Umsetzung selbst nahmen sie portugiesische Reeder unter Vertrag [4]. Unter den in Westafrika gefragten Metallwaren nahmen hochwertige Kupfer- und Messingwaren einen prominenten Platz ein. Für die Lieferung solcher Waren aus deutschen Metallhütten erhielten die ebenfalls in Augsburg ansässigen Fugger regelmäßig große Aufträge von der portugiesischen Krone. Im 16. Jahrhundert waren die Fugger über eigene Agenten auch in Lissabon und in Brasilien präsent [5]

Im Verlauf des Dreißigjährigen Krieges erlitten jedoch Augsburg und andere große süddeutsche Städte –  wie der Textilstandort Ulm oder Nürnberg mit seiner Metallverarbeitung – schwere Bevölkerungsverluste. Zugleich erschütterte der Krieg die hegemoniale Stellung Portugals und Spaniens im atlantischen Raum. Handelsrouten, die aus Süddeutschland über Genua oder Livorno in die Kolonialhandelshäfen Sevilla und Lissabon führten, verloren an Bedeutung, während das im Krieg neutrale Hamburg sowohl mit den beiden katholischen Mächten als auch mit den nun aufstrebenden Niederlanden und Großbritannien Handel treiben konnte. Über die Elbe war die Hansestadt zudem gut mit Märkten und Produzenten tief im Hinterland verbunden.

All diese Faktoren begünstigten den Aufstieg Hamburgs zu Europas wichtigstem Ort für die Raffinierung des aus verschiedenen Kolonien kommenden Rohzuckers und für seine weitere Vermarktung von Mitteleuropa bis hin nach Russland. Das technische Wissen für das komplexe Verfahren hatten niederländische Fachleute schon im späten 16. Jahrhundert in die Stadt gebracht. Die Elbmündung war nicht nur wegen der günstigen Lage zwischen dem Atlantik und kontinentalen Märkten ein idealer Standort für die Zuckerraffinerie, sondern auch wegen der einfachen Versorgung mit englischer Kohle. Das Verflüssigen des Rohzuckers durch Erhitzen in großen Siedekesseln verschlang Unmengen an Brennstoff. Für Hamburg sprach auch das Lohnniveau, das damals unter dem Niveau auf der iberischen Halbinsel oder in anderen konkurrierenden Städten wie Bordeaux, Amsterdam oder London lag. So wurde Zucker zum wichtigsten Importgut, das allerdings an der Elbmündung nur raffiniert und dann zum allergrößten Teil re-exportiert wurde. Um 1700 kam der größte Teil der Hamburger Zuckereinfuhren noch aus Brasilien und den britischen Kolonien. 

Ab den 1720er Jahren wurden sie zwar vom Zucker aus dem französischen Saint-Domingue überflügelt, aber in absoluten Zahlen blieb auch brasilianischer Zucker für Hamburg wichtig. In den Hamburger Zollbüchern der Jahre 1733-1789 (die zwar einige Lücken aufweisen und die Einfuhren nicht komplett erfassten) stellt Zucker knapp 37 Prozent aller Einfuhren von See, gefolgt von Kaffee mit knapp 20 Prozent [6]. Allein diese beiden – in der Regel gemeinsam konsumierten – Genussmittel standen also für knapp die Hälfte aller verzollten Importe des größten deutschen Seehafens.



Zuckerfabrikanten in Hamburg 1799. Diese Liste mit 348 Zuckerfabrikanten (auch Zuckerbäcker oder Zuckersieder genannt) wurde erst 1882 gedruckt; es ist unklar zu welchem Zweck dies geschah. Foto: Felix Töppel, © Staatsarchiv Hamburg, Bestand 111-1, Senat, Nr. 92000.

Die Spitalerstraße in Hamburg war Standort mehrerer Zuckerraffinerien. Abbildung von 1884. Quelle: HAMBURG. Augenblicke einer Stadt 1882-1894. In 50 Zeichnungen von Johann Theobald Riefesell nach Originalen im Museum für Hamburgische Geschichte. © Gemeinfrei.

Mit dem Niedergang der süddeutschen Handels- und Gewerbestädte wuchs auch der durch den Hamburger Hafen nach Lissabon fließende Warenstrom. Ein großer Teil davon ging von der Tejo-Mündung als Tauschware in den Sklavenhandel, den die Portugiesen vor allem an den Küsten von Angola und des mit ihnen verbündeten Königreichs Kongo trieben. Dem entsprechend stieg der Anteil der Metallwaren und vor allem der Textilien an der Ausfuhr nach Portugal. Im frühen 18. Jahrhundert stellten Metalle rund 15 Prozent, Textilien mehr als die Hälfte des nach Portugal gehenden Warenwertes, darunter vor allem Leinen aus Westfalen, Schlesien und Böhmen (siehe Tabellen). Textilien waren auch die wichtigste Tauschware für den Kauf versklavter Menschen in Westafrika. Metallwaren und Textilien gingen über Lissabon auch nach Brasilien, zur Versorgung der Plantagen.

Das Lissabonner Erdbeben von 1755 verschärfte die Notwendigkeit von Reformen, die der aufgeklärte, 1756 zum Ersten Minister und bald in den Adelsstand erhobene Marquês de Pombal (1699-1782) bereits eingeleitet hatte – auch die sogenannte Aufklärung hatte ihre Schattenseiten; viele ihrer Vertreter befürworteten die Sklaverei oder waren gar selbst daran beteiligt. Noch 1755 ließ er die Companhia Geral de Comércio do Grão-Pará e Maranhão schaffen, eine mit Monopolen ausgestattete Kapitalgesellschaft, die den Zuckeranbau in Brasilien und die Einfuhr versklavter Menschen aus Afrika steigern sollte – und an der auch er selbst verdiente. In der Tat wuchs der Anteil des portugiesischen (beziehungsweise brasilianischen) Zuckers an den verzollten Hamburger Einfuhren von rund 10 Prozent in 1755 über 15 Prozent in 1770 auf rund ein Viertel in 1792 – bei einem Anstieg der verzollten Gesamtimporte in diesem Zeitraum von knapp 6,5 Millionen auf 10,5 Millionen Mark banco. Viele Dutzend in Lissabon etablierte hamburgische Kaufleute organisierten diesen Handel und profitierten von ihm. Besonders erfolgreich war der Hamburger Johannes Schuback (1732-1817), der seine kaufmännische Lehre in Lissabon absolviert hatte. 

Dort erlebte und überlebte er die Katastrophe von 1755 und kehrte danach nach Hamburg zurück, wo er zu einem großen Zuckerimporteur wurde. Dank seiner sehr guten kommerziellen und politischen Kontakte in Lissabon wurde er 1761 der Hamburger Vertreter der Kolonial- und Sklavenhandelsgesellschaft Companhia Geral de Comércio do Grão-Pará e Maranhão [7].  Ab 1782 fungierte er als portugiesischer Konsul. In seinen Berichten als Konsul schätzte er den hamburgischen Handel als den europaweit vorteilhaftesten für Portugal ein [8]

Die Bedeutung Lissabons in diesem Handel litt erst ab der 1822 erlangten Unabhängigkeit Brasiliens. 1827 schloss das Land einen Vertrag für den bis 1822 nicht erlaubten Direkthandel mit Hamburg ab; in diesen Jahren deckte es rund die Hälfte der hamburgischen Zuckerimporte [9]. Dabei ersetzte Brasilien auch die Lieferungen aus dem vormals französischen Saint-Domingue, wo die Ausfuhr im Zuge der Haitianischen Revolution (1791-1804) stark eingebrochen war. Wie das davon getroffene Bordeaux verlor 1822 auch Lissabon seine Rolle als Drehscheibe des Kolonialhandels. Hamburg dagegen profitierte weiterhin von seinem Status als neutraler Stadtstaat.

Gesamtzahl der von den verschiedenen Nationen über den Atlantik verschleppten Afrikaner*innen

https://www.slavevoyages.org/assessment/estimates, 30/11/2021

Hamburger Handel mit Portugal 1647

Jorun Poettering: Kaufleute zwischen Hamburg und Lissabon, S. 38.

Hamburger Handel mit Portugal 1702-1713

Jorun Poettering: Kaufleute zwischen Hamburg und Lissabon, S. 43.

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Fußnoten

[2] John L. Vogt: The Lisbon Slave House and African trade, 1486-1521, in: Proceedings of the American Philosophical Society, vol. 117, nº 1, 1973, S. 1-16.
[3] Arlindo Manuel Caldeira: Escravos e traficantes no Império Português: O comércio negreiro português no Atlântico durante os séculos XV a XIX, Lisboa, A Esfera dos Livros, 2013.
[4] Jörg Denzer: Die Konquista der Augsburger Welser-Gesellschaft in Südamerika (1528–1556), München 2005, S. 51–55.
[5] Mark Häberlein: The Fuggers of Augsburg: Pursuing Wealth and Honor in Renaissance Germany, Charlottesville, University of Virginia Press, 2012.
[6] Torsten dos Santos Arnold: Atlantic Sugar and Central Europe: Sugar Importers in Hamburg and the Trade with Bordeaux and Lisbon, 1733-1789, in: Jutta Wimmler / Klaus Weber (org.): Globalized Peripheries. Central Europe and the Atlantic World, 1680-1860, Woodbridge, Boydell & Brewer, 2020, S. 99-116, siehe S. 99-100.

[7]  Renate Hauschild-Thiessen: Schuback, Johannes, in: Franklin Kopitzsch / Dirk Brietzke (Hg.): Hamburgische Biografie, Bd 2. Hamburg (Christians) 2003, S. 383-384. Siehe auch dos Santos Arnold: Atlantic Sugar, S. 103, 114-115.

[8] Maria Cristina Moreira / Adelir Weber: A importância do mercado brasileiro no comércio externo luso–hamburguês, 1796-1831, in: Jahrbuch für Geschichte Lateinamerikas [Anuário de História da América Latina], vol. 45, 2008, S. 325-341, siehe S. 328.

[9] Astrid Petersson: Zuckersiedergewerbe und Zuckerhandel in Hamburg im Zeitraum von 1814 bis 1834: Entwicklung und Struktur zweier wichtiger Hamburger Wirtschaftszweige des vorindustriellen Zeitalters. Stuttgart (Steiner) 1998, S. 289-291.