Dr. Kavemuii Murangi

© Kavemuii Murangi

Dr. Kavemuii Murangi
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Männer wie Franke und Woermann sollten nicht geehrt und gefeiert werden, indem man Denkmäler aufstellt und Straßen nach ihnen benennt.“

Interview: Anke Schwarzer, 2021

An welche Orte und Räume in Hamburg denken Sie, wenn Sie an die koloniale Geschichte und Gegenwart denken?

 

Ich denke an den Baakenhafen, wo die Schiffe mit der deutschen Schutztruppe ablegten, die die Völkermorde an den Ovaherero und Nama verübte. Auch die Woermann-Gebäude und die Woermann-Straße kommen einem in den Sinn. Woermann und andere Firmen, einschließlich der Deutschen Bank, halfen bei der Finanzierung des Völkermordes und profitierten von der Sklavenarbeit. Außerdem denke ich an das Trotha-Haus auf dem alten Kasernengelände, das nach General Lothar von Trotha benannt wurde, der rücksichtslos den Plan des Kaisers vorantrieb und die berüchtigten Vernichtungsbefehle an den Ovaherero und Nama erließ. Ich bin froh, dass progressive und antikoloniale Gruppen aus der Zivilgesellschaft dafür gesorgt haben, dass dort zumindest Tafeln angebracht wurden, die über die Namensgebung dieses Hauses informieren.

Ich weiß auch, dass sich in Hamburg die Begräbnisstätte von General Victor Franke befindet. Er hat die deutschen Truppen befehligt und war an der Ermordung der Ovaherero und Nama beteiligt. Und ich muss sagen, dass Victor Franke auch selbst ein Vergewaltiger war. Meine Urgroßtante Novakazona Tjiroze ua Murangi war eines seiner Opfer – und gebar Kinder als Ergebnis dieser Vergewaltigung.

Ich erinnere mich auch an den Besuch im Hamburger Rathaus 2018, bei dem der Kultursenator Dr. Carsten Brosda über die wichtige Rolle sprach, die die Stadt Hamburg während des deutschen Kolonialismus in Namibia gespielt hat und sich von ganzem Herzen für Hamburgs Beteiligung am Völkermord entschuldigte. 

“Deutschland muss den Völkermord und die Vergewaltigung der Ovaherero und Nama aufarbeiten und Rechenschaft ablegen, sich entschuldigen und Reparationen zahlen.”

Würde es Ihnen etwas ausmachen, auf den Zusammenhang zwischen Franke und Ihrer Familiengeschichte näher einzugehen? 

 

Mein Ur-Ur-Großvater Rapote Murangi hatte vier Töchter. Drei wurden von deutschen Männern vergewaltigt und brachten Kinder mit „deutschem Blut“ zur Welt. Rapotes Erstgeborene, Novakazona Tjiroze ua Murangi, war eine Sexsklavin von Victor Franke und brachte zwei Kinder zur Welt. Victor Franke ist ein Kriegsverbrecher, der am Völkermord und an der Tötung und den vorsätzlichen Vergewaltigungen von Frauen beteiligt war. Die Vergewaltigungen von Ovaherero- und Nama-Frauen begannen bereits vor 1904. Sie wurden während der Jahre des Völkermords fortgesetzt, als deutsche Soldaten die Lage wehrloser Frauen und junger Mädchen in den Konzentrationslagern ausnutzten. Die Vergewaltigungen gingen auch nach 1908 weiter, als die Lager aufgelöst wurden und Frauen und junge Mädchen als Sklavenarbeiterinnen – in den meisten Fällen als Sexsklavinnen – eingesetzt wurden. Da es keinen Schutz für diese Frauen gab und keine Gesetze, um die Vergewaltiger zu bestrafen, hörten deutsche Soldaten und Siedler, einschließlich Victor Franke, auch Jahre nach dem Krieg nicht damit auf, Ovaherero- und Nama-Frauen und -Mädchen zu vergewaltigen.

1906 erließ Deutschland Gesetze, die sexuelle Beziehungen oder Ehen zwischen Weißen und Schwarzen verbot. Damit sollte sichergestellt werden, dass alle Kinder, die aus einer Vergewaltigung hervorgingen, niemals als Kinder deutscher Abstammung gelten oder eine staatliche Unterstützung beanspruchen konnten. Diese Gesetze boten für die Ovaherero und Nama-Frauen keinen Schutz. Im Gegenteil: Die Vergewaltigungen gingen trotz dieser Gesetze weiter. Deutsche Siedler und Soldaten taten alles, um Beweise für Vergewaltigungen zu vertuschen, einschließlich der Tötung von Kindern, die aus Vergewaltigungen hervorgingen - und deren Müttern. Sie taten das, obwohl sie eigentlich de facto nie für die Vergewaltigungen belangt wurden. Trotzdem verschlimmerten die Gesetze in gewisser Weise die Situation noch: Kinder, die durch Vergewaltigung geboren wurden, wurden versteckt oder verheimlicht. Manchmal wurden ihre Gesichter und Körper bemalt, um dunkler zu erscheinen, oder sie wurden weggeschickt. Meine Urgroßmutter Salinde Uakaera Tjituka wurde von einem Siedler namens Schmidt vergewaltigt und musste dann fliehen, als sie merkte, dass sie schwanger war, da sie um ihr Leben und das Leben des ungeborenen Kindes fürchtete. Bis heute wird über dieses abscheuliche Verbrechen an Frauen geschwiegen. Deutschland muss den Völkermord und die Vergewaltigung der Ovaherero und Nama aufarbeiten und Rechenschaft ablegen, sich entschuldigen und Reparationen zahlen.

Ihre Ausführungen zeigen, dass es noch offene Rechnungen gibt – jenseits der Frage von Erinnerungsorten oder vom Umgang mit kolonialen Spuren im Stadtraum, etwa den beiden Straßen in Hamburg-Ohlsdorf, die nach Woermann benannt sind …

 

…Männer wie Franke und Woermann sollten nicht geehrt und gefeiert werden, indem man Denkmäler aufstellt und Straßen nach ihnen benennt. Das, wofür sie standen, und die Verbrechen gegen die Menschheit, die sie in Namibia begangen haben, repräsentieren nicht die Werte einer modernen, demokratischen und verantwortungsbewussten deutschen Gesellschaft. Diese Männer auf diese Weise zu ehren, ist Ausdruck dafür, dass denjenigen Menschen, die sie zu töten und zu versklaven halfen, weiterhin das Menschsein abgesprochen wird. Es würde eine kraftvolle Botschaft senden, wenn diese Denkmäler abgerissen und die Straßen zu Ehren ihrer Opfer umbenannt würden. Es könnte zeigen, dass Deutschland und Hamburg alle Menschenleben gleichrangig wertschätzen und das, wofür diese Männer standen, ablehnen.

Welche Namen schlagen Sie für die Umbennung der Woermannstraße und des Woermanstiegs vor?

 

Louise Zeraua kommt mir, neben anderen Frauennamen, in den Sinn. Ihre Ermordung und die davor versuchte Vergewaltigung durch einen deutschen Händler gelten als Mitauslöser für den Beginn des Widerstandskrieges im Januar 1904. Louise Zeraua und ihr Mann waren 1903 auf dem Weg von Karibib nach Omaruru, als sie einem deutschen Händler namens Dietrich eine Mitfahrgelegenheit auf ihrem Wagen boten. Mit dabei war auch ihr gerade 14 Tage altes Baby. Am Abend lagerten sie etwa 12 Meilen außerhalb von Omaruru. Mitten in der Nacht versuchte der deutsche Händler Louise Zeraua zu vergewaltigen. Sie wehrte sich und er erschoss sie und ihr neugeborenes Kind. 

Der Fall wurde vor Gericht gebracht, aber zunächst wurde Dietrich für nicht schuldig befunden. Doch nach einem Aufschrei und einer Berufung wurde der deutsche Händler zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Allerdings schickte man ihn zurück nach Deutschland, anstatt ihn in Namibia seine Strafe verbüßen zu lassen. Das milde Urteil und die Tatsache, dass der Mörder nach Deutschland geschickt wurde, waren weitere Beispiele dafür, wie die Deutschen das Leben der Ovaherero und Nama missachteten. Diese Frau zu ehren, indem diese Straße nach ihr benannt wird, wäre ein kleiner, aber bedeutender Schritt für Hamburg. Ich glaube, der Bezirk hat bereits im April 2019 beschlossen, diese beiden Straßen umzubenennen. Ich hoffe sehr, dass dieser Beschluss sehr bald umgesetzt werden kann.