© Delali Ayivi
„Wer profitiert jetzt und heute?“
Mir fallen zunächst die ganz klassischen kolonialen Spuren ein – von Straßennamen über Büsten, die an Menschen erinnern, die von der Kolonialzeit profitiert haben. Es sind Namen, die auch in der politischen Debatte immer wieder präsent sind: Otto von Bismarck, auch Adolph Woermann, Justus Strandes und wie sie alle heißen. Spuren, die sich wie ein rotes Band durch die Stadt ziehen in Erinnerung an die Taten, die in der Kolonialzeit passiert sind und die immer ein bisschen positiv – zu positiv – dargestellt werden.
Insofern finde ich die politische Debatte gut, dass man sich in den letzten Jahren auf den Weg gemacht hat, diese Spuren in den Kontext zu stellen und die bisherige Art der Erinnerungskultur kritisch reflektiert.
Aber mir fallen auch andere Orte ein, die nicht unbedingt in
klassischer Weise mit der Kolonialzeit in Verbindung gebracht werden: Es sind
Institutionen und Unternehmen, die von der Kolonialzeit profitiert haben, die
aber nicht für alle unmittelbar durch Namen und Taten im Kontext der
Kolonialzeit präsent sind. Es sind Orte, bei denen man, wenn man tiefer in die
Geschichte schaut, die Verbindungen zu Kolonialprofiteuren und
Kolonialprofiteurinnen sehen kann.
Haben Sie für diese
anderen Orte Beispiele?
Sehr interessant fand ich, was ich erst kürzlich zu Justus Strandes gelesen habe: Er war als Politiker in der Stadt sehr präsent. Er war auch Mitglied der Geographischen Gesellschaft in Hamburg und des kaufmännischen Beirats des Hamburgischen Kolonialinstituts. Das Institut war die Keimzelle der späteren Universität Hamburg. Da würde man als Laie in dieser Thematik nicht sofort darauf kommen.
Kontextualisierung
finde ich sehr wichtig. Häufig geht es in den Debatten um ein bloßes „Weg
damit!“ und es soll etwas Neues hin. Ich finde nicht, dass sämtliche Spuren
erhalten werden müssen, aber ich finde es auch falsch, alles zu vernichten.
Wenn man kontextualisiert, kann man auch die Verbindungslinien, die sich bis
heute in der Stadt bemerkbar machen, besser verstehen.
Absolut! Zusätzlich zum Abarbeiten an alten Spuren dreht sich Dekolonisierung auch darum, Räume für Neues zu schaffen und sich zu fragen: „Wer profitiert jetzt und heute?“
Sie sollen sich so positionieren und repräsentieren können wie andere Gruppen in der Gesellschaft auch.
Ich denke dabei weniger an Denkmäler, als an das, was sich seit vielen Jahren organisch aus der sogenannten Community selbst heraus entwickelt. Ich denke dabei an den Black History Month, ich denke an den Verein Future Of Ghana Germany oder viele andere Vereine, die im Hier und Jetzt das Potential von Schwarzen Menschen zeigen, ohne sich dabei beweisen zu müssen. Es gibt Schwarze Entrepreneurs, Schwarze Deutsche, die tolle Sachen machen. Ich bin auf viele Black Owned Businesses gestoßen, die in Hamburg ansässig sind und nachhaltige Produkte anbieten. Das ist für mich eine neue Form der Dekolonisierung.
Die Frage ist, wonach schaut ein Suchender oder eine Suchende. Es tut sich unheimlich viel, aber womöglich erzeugt es noch nicht die Aufmerksamkeit, die es eigentlich bräuchte. Die Aktivitäten sind sichtbar, aber mein Wunsch wäre, dass genauer hingeschaut wird und vor allem Expertinnen und Experten in ihren spezifischen Themenbereichen Gehör finden. Wenn nicht immer dieselben Personen aus der Community zu sämtlichen Themen Rede und Antwort stehen müssen, wird auch ein Stück weit die monolithische Außenwahrnehmung der Community aufgebrochen.
Wir sind hier im Afrotopia, an einem besonderen Ort. Er befindet sich in der früheren Bugenhagenkirche, eine evangelisch-lutherische Kirche im Hamburger Stadtteil Barmbek-Süd. Sie wurde Ende der 1920er Jahre mit roten Backsteinen gebaut und 2019 umgewidmet. Ihre Umwidmung finde ich persönlich eine sehr spannende Idee. Der Geistes- und Wirtschaftswissenschaftler Christian Kodjo Ayivi hat 2019 den Zuschlag bekommen, aus diesem Ort ein Kulturzentrum zu machen.
In dem denkmalgeschützten Gebäudekomplex entsteht nun das Kreativzentrum und die Denkfabrik Afrotopia. Der Name geht auf ein Buch des senegalesischen Ökonomen Felwine Sarr zurück, der sagt: „Der Homo africanus ist kein Homo oeconomicus“. Afrikanisches Leben und afrikanische Wirtschaft sind anders und es ist daher auch wichtig, sich selbstbewusst auf die eigenen Kompetenzen zu berufen. Ich finde den Namen gut gewählt. Hier soll eine vermeintliche Utopie verwirklicht werden. Ein Raum, wo man sich nicht durch die übliche Fremdzuschreibung definieren lässt, sondern sich neu entscheidet: Wie möchte ich sein und was ist uns als afrikanische Diaspora wichtig? Wie wollen wir den Ort, in welchem wir uns entfalten, gestalten?
Geplant ist ein Social- und Creative Space inklusive Café und Event Catering für Feste und Begegnungen, aber auch Büro- und Arbeitsräume für Künstlerinnen und Künstler. In einem Learning Space soll eine Bibliothek entstehen. Diese soll einen weiteren Zugang zu verschiedenen Autoren und Autorinnen aus der afrikanischen Diaspora ermöglichen. Wenn ich da an meine Erfahrungen denke, ein besonders wichtiges Anliegen: Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie ist mir zum Beispiel erst sehr spät über den Weg gelaufen, und das, obwohl sie eine literarische Ikone ist! Wäre doch klasse, wenn wir mitten in Hamburg Barmbek mehr Zugang und Wissen über diese Vorbilder hätten. In einem Performing Space werden Räume multifunktional für Theater, Konzerte, Filme, Ausstellungen, Tanz, Lesungen und vieles mehr genutzt.
Zuletzt möchte Christian Kodjo Ayivi in einem Business
Space unterschiedliche Schwarze Unternehmer und Unternehmerinnen vernetzen.
In einem Co-Working-Space sollen Freiberuflerinnen und Freiberuflern,
Projektteams und Startups aus unterschiedlichsten Bereichen Arbeitsplätze zur
Verfügung stehen. Das ist sehr spannend, herausfordernd, manchmal auch
konfliktbeladen. Und all das braucht natürlich zusätzliche Mittel. Man merkt,
ich bin von der Idee Afrotopia sehr angetan. Ich bin mir sicher, dass
ein solcher Ort auch neue gedankliche Räume öffnen kann.